Wenn Nische auf Mainstream trifft

viktring

Wir haben in unserem Blogartikel „Überkonsum und die vollgestellte Wohnung“ bereits über das Phänomen der Labubus gesprochen – ein Mikrotrend, der längst seinen Weg in den Mainstream gefunden hat. 

Was sind Mikrotrends?

Mikrotrends sind kleine, meist kurzfristige Strömungen in Bereichen wie Verhalten, Kultur, Mode, Technologie oder Gesellschaft. Sie tauchen zunächst in bestimmten Zielgruppen oder Communities auf und entstehen aus spezifischen Bedürfnissen, Stimmungen oder Beobachtungen.

Umgangssprachlich verstehen wir vor allem eines: Plötzlich ist ein Thema überall. Es geht viral, wird nachgeahmt, bekommt einen Namen und verschwindet manchmal ebenso schnell wieder. Einige Mikrotrends halten sich ein paar Wochen, andere über Monate. Hat man sie schon überall gesehen, ist ihr Höhepunkt meist schon überschritten.

Wie sieht dir Realität aus?

Wie entstehen Mikrotrend und schaffen es vom Nischenphänomen in den Mainstream? Um das greifbar zu machen, haben wir zwei sehr Fallbeispiele für euch vorbereitet:

Matcha Latte

In den frühen 2010er-Jahren wurden Wellness-Blogger:innen und Fitness-Influencer:innen immer präsenter und mit ihnen ein ganz bestimmtes Getränk: der Matcha Latte.

Matcha stammt ursprünglich aus der japanischen Teezeremonie und wurde in dieser Nischenszene plötzlich zum gefeierten Superfood: leuchtend grün, reich an Antioxidantien und mit einem sanften Koffein-Kick, der keinen abrupten Absturz wie bei Kaffee oder Schwarztee verursacht.

Auf Plattformen wie Instagram und Pinterest wurde der Matcha Latte bald mehr als nur ein Getränk. Er wurde zum Lifestyle-Accessoire: ein Symbol für bewussten Konsum, Selfcare und die It-Girl-Ästhetik.

Mit wachsender Social-Media-Präsenz stieg auch die Nachfrage und Matcha Latte wurde zum Standardgetränk in Cafés. Heute hat er seinen Platz im Mainstream gesichert.

Die Nostalgieschleife

Vor ein paar Jahren dominierten plötzlich wieder 80er-Jahre-Elemente die Mode, teils ausgelöst durch die Serie "Stranger Things". Danach folgten die 90er und aktuell erleben wir einen regelrechten Y2K-Hype. Der Grund? Der Nostalgiezyklus.

Dieses kultursoziologische Prinzip besagt: Menschen sehnen sich etwa 20–30 Jahre später nach der Ästhetik ihrer Kindheit oder Jugend, weil sie Sicherheit, Identität und Vertrautheit vermittelt. Die Kinder der 2000er sind heute erwachsen, mit Kaufkraft und einem emotionalen Bezug zu dieser Zeit.

In Krisenzeiten wird Nostalgie zum emotionalen Zufluchtsort. Ältere Generationen sprechen darüber auf Social Media, Gen Z nimmt diese Erzählungen auf und romantisiert sie in einen erstrebenswerten Lifestyle.

Für die Modeindustrie ist das ein gefundenes Fressen. Designs aus alten Archiven werden recycelt, leicht modernisiert und erneut verkauft. Auch auf Plattformen wie Vinted oder in Second Hand Stores steigt die Nachfrage nach Originalstücken.

Plattformen wie TikTok beschleunigen diese Entwicklung zusätzlich. Trends wie „Y2K-core“ oder „90s-core“ werden visuell inszeniert, viral geteilt und massenhaft nachgeahmt. Dabei verlieren ursprüngliche Subkulturen oft ihren Kontext: Was einst Ausdruck von Rebellion war, wird heute zum gestylten Modestatement, oft massenproduziert.

Um euch noch einmal bewusst zu machen, wie vielseitig und flüchtig Mikrotrends sein können, haben wir euch hier eine kleine Auswahl aus dem ständig wachsenden Trend-Karussell zusammengestellt, die alleine in 2025 entstanden sind:

Mode & Lifestyle

Micro Skirts Sommercore (Boho-Vibes mit Häkel, Leinen & Layering)
Office Siren (sexy Bürolook)
Blokecore (sportlich-maskuline Retroästhetik)
Mob Wife (opulenter 90s-Glam)
Balletcore / Coquette (feminine Lolita-inspirierte Looks)
Cowboycore (Western-Elemente & Fransen)
Statement Handbags (z. B. in Obstform oder mit bunten Pins)
DIY Crochet & Patchwork (nicht selbst gemacht, aber von kleinen Labels, die’s tun)
Underconsumption Core 

Food & Snacks

Fermentiertes (Kombucha, Kimchi, Kefir & Co.)
Mini-Snacks (Croissants, Kuchen, Donuts in XS)
Chunky Sweets (riesige Kekse oder essbarer Keksteig)
Food Blindboxes (Überraschungskisten mit Snacks) 

Deko & Möbel

Pilzdeko (Pilzlampen, Prints, Figuren)
Wachs- & Bubblekerzen
Maximalismus (Muster-Mix, Farben & Struktur)
Organische Möbel (von Steinen, Wolken oder Muscheln inspiriert)
Y2K Interior (Diskokugeln, LED-Licht, transparente Möbel)
Labubus & andere Blindboxes

Und das ist nur ein Ausschnitt. Mikrotrends sind überall: in deinem Kleiderschrank, auf deinem Teller, in deinem Wohnzimmer. Und morgen sehen sie vielleicht schon wieder ganz anders aus.

Warum sind Mikrotrends ein Problem?

1. Überbeschleunigter Konsum

Mikrotrends leben von Schnelligkeit und ständiger Abwechslung. Immer neue Ästhetiken, die zu kurzfristigen Käufen führen, oft von minderwertigen Produkten. Fast Fashion wird damit nicht entschleunigt, sondern durch Mikrotrends beschleunigt. Das Ergebnis: Kleidung wird gekauft, gezeigt, aussortiert, innerhalb weniger Wochen.

2. Wertverlust & Überfluss

Wenn alles schnell trendet und wieder verschwindet, verlieren Dinge ihren emotionalen oder materiellen Wert. Kulturelle Symbole oder Identitäten werden „verwertet“ statt verstanden z. B. das kurzfristige Tragen kultureller Kleidung als Modeaccessoire. Mikrotrends machen Kultur zu Wegwerf-Content.

3. Psychische Belastung durch ständigen Wandel

Vor allem junge Menschen spüren durch Social Media den Druck, „up to date“ zu sein. Der ständige Vergleich mit anderen Ästhetiken kann zu Unzufriedenheit, Reizüberflutung und Identitätsunsicherheit führen. Mikrotrends fördern FOMO und das Gefühl, nie genug zu sein.

4. Nachhaltigkeit leidet

Mikrotrends widersprechen der Idee von Langlebigkeit, Reparatur und Wiederverwendung. Second Hand Kleidung wird „weggeklickt“, wenn sie gerade nicht zur aktuellen Ästhetik passen. Marken nutzen „grüne“ Mikrotrends oft nur oberflächlich, ohne tiefgreifende Veränderung.

5. Ökonomischer Druck

Besonders bei Jugendlichen oder jungen Erwachsenen entsteht durch Mikrotrends ein Gefühl von Kaufzwang, um „dazuzugehören“. Dabei profitieren v. a. große Plattformen und Billigproduzenten. Mikrotrends treiben viele Menschen in einen Konsum-Kreislauf, den sie sich langfristig nicht leisten können.

Fazit

Mikrotrends kommen und gehen – oft schneller, als wir reagieren können. Manchmal lohnt es sich, einen Schritt zurückzutreten und sich ehrlich zu fragen: Gefällt mir das wirklich? Oder gefällt mir nur die Idee, gerade „dabei“ zu sein?

Denn nicht jeder Hype muss mitgemacht werden. Viel schöner ist es, wenn wir lernen, zwischen echtem Interesse und kurzfristigem Reiz zu unterscheiden.

Wer sich das bewusst macht, spart nicht nur Geld, Nerven und Platz, sondern entdeckt oft Dinge, die viel länger halten als der nächste Trend.